Es geht hier doch gar nicht um den Alkohol ansich, sondern die Scheinheiligkeit die man kurz vor dem Start über Board wirft. Dieses Turnier ist eine absolute Farce und wird durch den neusten Beschluss wunderbar abgerundet.
Der Fifa-Präsident schimpft über die Katar-Kritik aus dem angeblich heuchlerischen Westen - und schweigt über seine eigenen Skandale. Der größte Heuchler ist er selbst. Kommentar von Claudio Catuogno
Man muss ein paar Dinge über Gianni Infantino wissen, um seinen Auftritt in Doha am Tag vor WM-Beginn richtig einordnen zu können. Also seinen durch und durch moralisch vorgetragenen Versuch, Kritik am Gastgeberland Katar als europäische Doppelmoral abzutun. Zum Beispiel darf man noch mal daran erinnern, dass Infantino wohl mithilfe eines Justizkomplotts ins Amt kam: Die Schweizer Bundesanwaltschaft ließ 2015 ein paar Gepflogenheiten außen vor bei ihren Ermittlungen gegen den vorherigen Fifa-Skandalpräsidenten Sepp Blatter und dessen designierten Nachfolger Michel Platini - auch deshalb spülte es den Schweizer Infantino in den Chefsessel in Zürich.
Ebenfalls hilfreich zu wissen ist, dass in der Schweiz zwei Sonderstaatsanwälte gegen Infantino ermitteln. Zum einen wegen des Filzverdachts in Bezug auf die Justiz - der Bundesanwalt in Bern verlor deswegen sogar seinen Job. Zum anderen, weil Infantino offenkundig den eigenen Compliance-Beauftragten beschiss: Einen für rund 200 000 Euro gebuchten Privatjet-Flug begründete er 2017 mit einem wichtigen Termin, der frei erfunden war.
Die Liste der Skandale ließe sich fast ins Unendliche fortsetzen
Kaum im Fifa-Amt hat Infantino dann die hauseigene Ethikkammer rasiert und mit ihm ergebenen Marionetten besetzt. Und 2018 belog Infantino sogar seine Vorstandskollegen. Er habe einen super Deal an der Angel, man müsse bloß ein, zwei neue Turniere erschaffen und bekomme im Gegenzug von einem Investor, den er leider nicht offenlegen dürfe, 25 Milliarden Dollar. SZ-Recherchen brachten dann eine geplante Abmachung mit einem aus Saudi-Arabien gelenkten Konsortium ans Licht, mit der die Fifa fast ihren kompletten Schatz an Rechten und Lizenzen veräußert hätte.
Die Liste der Skandale ließe sich fast ins Unendliche fortsetzen. Widerstand aus der Fußballwelt? Kommt fast nur aus: Europa. Dort wehrt sich die Uefa - auch im Interesse des eigenen Geschäfts - seit Jahren hartnäckig gegen die Querschläger aus Zürich. Was Infantinos Europa-Furor gleich in ein anderes Licht setzt.
Natürlich hat Infantino mit manchem auch recht. Ist es wohlfeil, die WM zu boykottieren, weil sie auf der Ausbeutung von bangladeschischen Arbeitsmigranten gründet - sich aber für drei Euro ein T-Shirt zu kaufen, das auf der Ausbeutung von bangladeschischen Näherinnen gründet? Absolut. Aber erstens liegen die Dinge halt doch etwas komplexer, als Infantino sie zur Reinwaschung Katars hinzubiegen versucht. Und zweitens sitzt die personifizierte Doppelmoral an der Spitze der Fifa.