Angeblich ist Vorfreude die schönste Freude. Das hat zumindest der allzu naive Volksmund erkannt. Alle anderen wissen: es ist die Schadenfreude. Auf die Spitze getrieben wird dies von den Darwin Awards - der Preis für eine möglichst skurrile Art, aus dem Leben zu scheiden.
1994 machte eine Geschichte im Internet die Runde: ein Mann hatte versucht, ohne zu bezahlen Waren aus einem Verkaufsautomaten zu ziehen, schüttelte dazu den Automaten, zog daran - und wurde von dem umfallenden Kasten erschlagen. Schon damals erwies sich das Internet als williger Verbreiter skurriler Geschichten und schnell wurde der Fall als "Vending Machine Tipover" bekannt. Davon inspiriert, waren es in der Folgezeit offensichtlich US-amerikanische Biologiestudenten, die spektakuläre Todesfälle sammelten und auf einer eigenen Webseite präsentierten - die Geburtsstunde der Darwin Awards.
Die zusammengetragenen Fälle wurden immer ausgefallener, einer der bekanntesten Fälle trug sich folgendermaßen zu: Die Polizei in Arizona fand an einer Straße Wrackteile, die von einem Flugzeugabsturz herrühren hätten können. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es sich um ein Auto handelte - es konnte sich nur niemand erklären, warum es dieses so zerlegt hatte. Weitere Ermittlungen zeigten, dass der Fahrer offensichtlich ein Flugzeugtriebwerk auf seinen Wagen montiert hatte, von dessen Hilfe er sich ein schnelleres Vorankommen versprach. Sein Wunsch wurde erfüllt: Er erreichte eine Geschwindigkeit von über 450 km/h. Etwa vier Kilometer lang ging das auf gerader Strecke gut, bevor das Auto abhob und nach zwei Kilometern an einem Felsen zerschellte. Vom Fahrer fand man lediglich noch einige Zahn- und Knochensplitter sowie Haare. Und das Beste an dieser Geschichte? Sie stimmt nicht.
Dieser Fall zeigt das Problem der Darwin Awards: wer konnte - bei aller Beliebtheit, der sich diese unglaublichen Geschichten natürlich schnell erfreuten - noch sagen, welche Todesfälle echt waren und welche erfunden? Denn die morbide Faszination der Darwin Awards liegt gerade in der Möglichkeit, dass die Fälle echt sein könnten. Wie also konnte man die Authentizität der Fälle garantieren? Auftritt Wendy Northcutt.
Mitte der 1990er Jahre verschrieb sich die Biologin Wendy Northcutt den Darwin Awards, rief die Webseite darwinawards.com (Link am Ende des Artikels) ins Leben, stellte Kriterien auf, die von Fällen erfüllt werden müssen, um für den Preis infrage zu kommen, verpasste der Sache einen biologisch-philosophischen Überbau und recherchierte den Wahrheitsgehalt der eingereichten Geschichten.
Die Seite steht unter dem Motto: "Chlorinating the Gene Pool", was so viel bedeutet wie "den Genpool säubern" - daher auch die Benennung des Preises nach Charles Darwin, dem Vater der Evolutionslehre. Sprich: Die Unglücklichen, die es mit ihren Unglücken auf die Seite geschafft haben, haben der Menschheit als Ganzes sogar noch einen Gefallen getan, weil sie ihr "fehlerhaftes Erbgut" aus dem Genpool entfernen. Dass Northcutt in Interviews die Existenz eines Dummheit-Gens jedoch sogar selbst eher skeptisch betrachtet, macht deutlich, dass es mit der Ernsthaftigkeit oder gar einer wissenschaftlichen Herangehensweise an das Thema doch nicht so weit her ist. Zudem erweisen sich viele Fälle, die auf der Seite zu lesen sind, bei genauerer Betrachtung maximal als Unvorsichtigkeit oder schlicht Pech, in den wenigsten Fällen jedoch als die unglaubliche Dummheit, die Northcutt als Grundlage ihrer Sammlung angibt. Mit der Philosophie darf man sich also nicht allzu lange aufhalten, sondern die Seite als das sehen, was sie ist: die moderne Version des Struwwelpeters, frei nach dem Motto: Nicht mit dem Feuerzeug als Beleuchtung im Tank nachschauen, ob noch genug Benzin drin ist.
In Einklang mit dem Motto stehen die Regeln, die man erfüllen muss, um nach seinem unglücklichen Ableben auf der Seite zu landen:
1. Fortpflanzung: Der Kandidat muss sein Erbgut aus dem Genpool entfernen, entweder dadurch, dass er möglichst spektakulär stirbt oder aber sich nicht mehr fortpflanzen kann. Spektakuläre Selbststerilisationen berechtigen also auch zu einem Darwin Award.
2. Vortrefflichkeit: Das Unglück muss durch außergewöhnliche Dummheit zustande gekommen sein.
3. Unabhängigkeit: Der Kandidat muss sich entweder selbst getötet oder sterilisiert haben.
4. Reife: Kandidaten müssen mindestens 16 Jahre alt sein und aufgrund ihrer geistigen Entwicklung in der Lage sein, vernünftige Entscheidungen zu treffen.
5. Wahrhaftigkeit: Die Geschichte muss verifizierbar sein.
Dass Northcutt die Darwin Awards mittlerweile zu ihrem Beruf gemacht hat, Bücher schreibt und Vorträge gibt und damit vom Unglück anderer profitiert, kann man verwerflich finden, doch die meisten Leser werden sich bei der Lektüre der Fälle eingestehen müssen, dass von ihnen doch eine morbide Faszination ausgeht. Und manche sind wahrlich haarsträubend. Beispiele gefällig?
Da war zum Beispiel der Mann, der seinen Kamin reinigen wollte, dafür eine Bürste an einer Kette befestigte und ein schweres metallisches Objekt als Ballast daranschweißen wollte. Leider hatte er nicht bedacht, dass ein Schweißbrenner und ein metallisches Objekt, wenn es sich dabei um eine Handgranate handelt, eine explosive Mischung sein könnten.
Oder die beiden echten Männer, die herausfinden wollten, wer der echtere Mann ist. Zu diesem Zweck hängten sie sich an ein Brückengeländer und schauten, wer sich länger halten konnte. Der Wettbewerb hatte auch einen Gewinner - dieser jedoch war zu erschöpft, um sich wieder nach oben zu ziehen, fiel auf die zehn Meter darunter liegende Straße und wurde überfahren. Der Verlierer, der früher aufgegeben hatte, überlebte.
Oder die Busfahrerin, die in ihrer Eile, auf die Toilette zu kommen, vergaß, die Handbremse anzuziehen und versuchte, den auf sie zurollenden Bus wie Superman in seinen besten Zeiten mit bloßen Händen aufzuhalten.
Oder das junge Pärchen, das beim heftigen Liebesspiel vom Dach eines Hauses purzelte und unten nackt liegen blieb.
Oder der 43-jährige Elektriker, der sich nichts Lustigeres vorstellen konnte, als einen Einkaufswagen von einem Zug ziehen zu lassen. Warum er das so faszinierend fand, wird sein Geheimnis bleiben, denn nachdem er ein Seil an dem Wagen gebunden hatte, dieses irgendwie an einem vorbeifahrenden Güterzug befestigen konnte, wurde der Einkaufswagen tatsächlich mitgerissen - der Mann aber leider auch. Als der Zug anhielt, könnte nur noch sein Tod festgestellt werden.
Oder der Autodieb, der von der Polizei angehalten wurde, und sich zur Flucht zu Fuß entschloss. Da er auch noch eine Waffe dabei hatte, entschloss er sich auch noch, auf die Polizisten zu feuern. Da er jedoch vorwärts lief, aber nach hinten schießen musste, überforderte ihn dies offensichtlich: Er schoss sich selbst in den Kopf.
Und zu guter Letzt der Möchtegern-Skifahrer, der morgens um drei Uhr auf einer gelben Schaumstoffmatte einen Hügel hinunterraste, gegen den Mast eines Skilifts prallte und starb. Der tragische Ausgang wurde dadurch ermöglicht, dass an dem Mast die Schutzummantelung fehlte, die Skifahrer davor schützen soll, ungebremst hineinzurasen. Und woraus bestand diese Ummantelung? Richtig, aus gelben Schaumstoff.
Aufgrund der Resonanz im Netz hat sich auch Hollywood des Themas angenommen: "The Darwin Awards" mit Joseph Fiennes und Winona Ryder kam 2006 in die Kinos. Ein Erfolg war er nicht.
Ein Kumpel von mir hat das zugehörige Buch. Da sind über 500 Fälle von "Ich sterbe durch Dummheit" drinen...
Als ich mal bei íhm gepennt hab, hab ich die ganze Nacht dieses Buch gelesen und konnte vor Lachen einfach net schlafen... wie dumm die Leute seien können.
P.S. Mir ist wurscht, wenn das ganze nur erfunden ist, lustig ist es auf jeden Fall